Wenn die Anfrage an uns kommt „Können deine Berater in einem 1-Tages-Workshop dafür sorgen, dass meine Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen?“ fühle ich mich wie der Psychologe, der von den Eltern gebeten wird in seinen Sitzungen dafür zu sorgen, dass das Kind selbstbewusster wird. Er sieht das Kind vielleicht einmal die Woche, die Eltern sind ständig mit ihm zusammen.
Selbstverständlich können wir als Berater Unternehmen aktiv unterstützen, einen Weg für mehr Eigenverantwortung jedes Mitarbeiters zu entwickeln. Und wir können Unternehmen auch dabei unterstützen, zu Mitarbeitermagneten zu werden.
Ein Wandel in der Unternehmenskultur geht sogar fast ausschließlich nur mit Unterstützung durch Externe, weil das System nicht sehen kann, was das System nicht sehen kann. Sogar wir lassen uns zeitweise beraten – und sind stolz darauf, wenn wir diese Investition in unsere Unternehmenszukunft tätigen.
Allerdings kann eine Kulturentwicklung nicht mal eben nur von außen geschehen. Auch wenn wir wissen, was woanders gut funktioniert, und sogar wenn wir unsere erfolgreichen Lösungen für Unternehmen A zu Unternehmen B genau so übernehmen könnten, hätte das überhaupt keinen Sinn.
Die nachhaltigste Entwicklung geschieht grundsätzlich aus dem Unternehmen selbst heraus.
Kommen Berater in dein Unternehmen, die deinen Mitarbeitern erzählen wie es geht, gehen diese automatisch in den Widerstand. Selbst wenn die Lösungen hundertprozentig passen würden – was sie in der Regel nicht tun, weil eben jedes Unternehmen einzigartig ist – würde das Ergebnis nicht angenommen. Unternehmenskulturentwicklung kann man nicht mal eben verordnen. Es ist kein Tool, das nur noch angewendet werden muss, womöglich sogar nur von den unteren Rängen, weil „oben“ keine Zeit dafür ist…
Ein System stößt Lösungen zweiter Ordnung zumeist ab. Kopfschmerztabletten helfen bei akutem Schmerz sehr gut. Normalerweise helfen sie schnell, nur nicht nachhaltig. Kopfschmerztabletten lösen nicht das Problem, wenn im System etwas grundsätzlich geändert werden muss. Da bedarf es einer Anamnese und einer anschließend zugeschnittenen Behandlung. Auch eine Zahnkrone muss individuell angefertigt werden, damit sie sitzt. Wem passt schon das Gebiss seines Nachbarn – und wer will es tragen? Warum sollte das im Unternehmen anders sein?
Das Not-invented-here-Syndrom – also: nicht hier erfunden – beschreibt die Nichtbeachtung von bereits existierendem Wissen durch Unternehmen. Das Wissen ist ja bereits da, es muss nur freigelegt werden.
Die Lösungen, die aus dem Unternehmen selbst kommen, sind wesentlich tragfähiger und erzeugen deutlich weniger Widerstand. Außerdem können die Mitarbeitenden stolz sein auf das, was sie selbst geschaffen haben.
Das geht aber nicht an einem Tag. Oder ist sichergestellt, dass jemand mit unermüdlichem Einsatz immer wieder die Fäden zusammenstrickt? Ist sichergestellt, dass er oder sie volle Unterstützung auf allen Ebenen erfährt? Hat er oder sie eine hohe Reputation im Unternehmen und wird für diese Aufgabe von allen Bereichen nicht geneidet? Hat er oder sie beide Hände frei, kann sich also auf dieses Projekt fokussieren und hat nicht noch viele weitere wichtige Projekte? Sind alle Punkte eindeutig mit Ja zu beantworten? Super, dann kann es klappen. Die erlebte Praxis sieht fast immer anders aus.
Der Berater gibt die Ideen vor? Nein. Er regt Ideen an? Ja, selbstverständlich! Dafür braucht es einen Rahmen und eine enge intern-externe Zusammenarbeit. Natürlich muss der Berater Erfahrung mit dem Thema haben, Branchenkenntnis und Führungserfahrung sind sicher von Vorteil – aber er muss nicht alles wissen. Was wäre das auch für ein externer Blick über den Tellerrand, wenn der Berater das zu beratende Unternehmen besser kennte, als seine Mitarbeiter selbst? Er – oder sie – muss nur wissen, wie der vorhandene Wissensschatz zu heben ist, wie er entwickelt und kanalisiert werden kann.
Er oder sie gibt Anregungen und fragt viel. Er muss sich einen Überblick verschaffen, auf welchem Entwicklungsstand das Unternehmen ist – und wo es hin will. Was ist sinnhaft für eben dein Unternehmen? Eine Versicherung hat in der Regel andere Ziele als ein Logistikunternehmen. Handel ist anders als IT-Consulting oder öffentliche Verwaltung. Medizin hat nur wenig mit Maschinenbau zu tun.
Für den Erfolg einer Beratung ist die Klärung der Frage freier Ressourcen und ihrer Einteilung und auch der Priorität für das Unternehmen samt oberster Führungsebene essentiell.
Nebenbei Mitarbeitermagnet zu werden, klappt nicht. Das ist etwas systemrelevantes. Ein Wandel der Unternehmenskultur kostet Zeit. Es ist eine Investition in die Zukunft. So ein “bisschen agil”, geht voll an die Wand.
Und wenn die Zeit nicht da ist, dann empfehle ich jedem Unternehmen lieber nichts zu tun, als etwas Halbgares. Es bringt nichts ein, Erwartungen zu wecken, die nicht erfüllt werden. Hat der Wandel keine Priorität, sollte die Zeit in andere Projekte fließen, meist gibt es ja mehr als genug davon.
Und wenn es dann so weit ist und die Transformation lässt sich nicht mehr aufschieben – weil stehen bleiben womöglich keine Option mehr ist – dann, spätestens dann, bitte richtig.
Wenn der Kittel erst richtig brennt, ist jeder Wandel umso schwieriger. Früher nachhaltig daran zu arbeiten, ist definitiv besser.
Sei erfolgreich.
Herzlichst
Frauke Roloff
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